Die über lange Zeit gar nicht beachtete Zusammenarbeit vieler Länder an einem "Migrations-Pakt" mündete am 10. Dezember 2018 in dem in Marokko von 164 Staaten verabschiedeten Migrations-Abkommen. Auch wenn dieses einige Ungereimtheiten oder Ungenauigkeiten enthalten mag, ändert das nichts daran, dass die weltweite Beschäftigung mit dem globalen Migrationsproblem dringend notwendig war und auch weiterhin bleibt. Denn mehr als eine Viertel Milliarde, genauer gesagt 260 Millionen Menschen, haben ihre Heimal verlassen und sind auf der Suche nach erträglicheren Lebensbedingungen in anderen Regionen der Welt.
Bis heute finden die weltweiten Migrationsbewegungen in völlig ungeordnetem und chaotischem Ausmaße statt, ohne Übersicht und Steuerung durch Staaten oder internationale Gremien. Gehandelt wurde bisher ohne Plan und allenfalls reaktiv, wenn es denn unvermeidlich schien. Es war daher längst überfällig, sich endlich auch kontinentübergreifend mit der Situation entwurzelter und heimatloser Menschen in so großer Anzahl auseinanderzusetzen, und mehr als notwendig, Vorschläge und Ideen zu entwickeln, wie sowohl diese Menschen auf Wanderschaft als auch die Transit- und Zielländer, in denen sie Station machen, besser unterstützt werden können.
An der Vereinbarung wurde Jahre lang gearbeitet, ohne dass dies bekannt war, vielleicht auch aus Vorsicht, weil das Migrationsthema seit 2015 nicht nur in Europa zum Reizthema gemacht wurde. Dabei ist grundsätzlich jede Initiative, die so viele Länder an einen Tisch bringt und sich mit globalen, uns alle betreffenden Problemen auseinandersetzt, zu begrüßen und zu unterstützen. Herausgekommen ist jedenfalls ein Papier, das viele Aspekte umfasst, die meisten kritischen Punkte anspricht und das dennoch jedem unterschreibenden Land selbst die Initiative der Umsetzung überlässt und keine Verbindlichkeit fordert. Anregung und Anschub sollte es sein, und schlussendlich haben immerhin mehr als 150 Staaten die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit diesem Thema mit ihrer Unterschrift unter das Abkommen bekräftigt.
Was mir aber in dem Papier tatsächlich fehlt bzw. was nur am Rande angesprochen wird, was mir aber als die ganz zentrale Frage erscheint, ist die ausgiebige und ehrliche Analyse der Ursachen für die anhaltende weltweite Migration. Ursachen, die nicht nur mit Kriegen, Verfolgung und Hungersnöten zu tun haben, sondern die letztlich in den Folgen der Kolonialisierung und der fortgesetzten neokolonialen wirtschaftlichen Ausbeutung der Menschen der ehemaligen Kolonien durch die ehemaligen Kolonisatoren und deren Erben zu finden sind. Es geht hier um Ursachen, die auch zu tun haben mit den wirtschaftlichen und klimatischen Auswirkungen des globalen Kapitalismus auf unzählige Regionen der Welt, die unlebbar geworden sind und die Menschen zur Migration zwingen, wenn sie für sich und ihre Kinder überhaupt eine Chance auf ein (über)lebenswertes Leben haben wollen.*
Bei der Analyse dieser Ursachen müsste mehr gesprochen werden über die fatalen Auswirkungen des Konsums der reichen Länder auf die Luft, die Meere, die Böden, die Wälder, die Tiere, ja, die gesamte Natur. Wenn es um die eigenen Lebens- und Umweltbedingungen geht, ist dies selbstverständlich ein wichtiges Thema, das Politik und Wirtschaft beschäftigt und für das Lösungen gesucht werden. Offenbar aber nicht so für dieselben Probleme in den vielen armen Regionen der Welt. Um den Zusammenhang mit dem globalen Migrationsthema und seinen Ursachen zu verstehen, wäre die wichtigste Voraussetzung, die Verantwortung der reichen Länder der Welt für die desolate Situation in anderen Regionen genau anzuschauen, diese Verantwortung anzunehmen und gemeinsam, global, nach Lösungen zu suchen. Dazu wäre es notwendig, dass die Staaten des Migrationspakts erneut zusammenträten und überlegten, wie die vielen "abgehängten" und unlebbaren Regionen der Welt wieder lebbar gemacht werden können, z. B., wie in diesen Ländern die Wirtschaft angekurbelt werden kann, wo und wie investiert werden müsste, wie Infrastuktur und Umwelt unterstützt und Menschen in Arbeit gebracht werden könnten. Eine große Aufgabe, die Einsicht in ihre Notwendigkeit und Anstrengung benötigen, die aber schlussendlich dazu beitragen würde, weitere Zerstörung zu verhindern und ein Schritt in Rettung unseres Planeten und seiner Bewohner sein könnte. Im Prinzip ist die Thematik sehr verwandt mit derjenigen, die auch die Klimakonferenz beschäftigte.
Fazit: Solange die Menschen in den reichen Regionen der Welt ungezügelt weiter Energie und materielle wie humane Ressourcen aus den armen Ländern ohne Gegenleistung "verbrauchen" und im Gegenzug ihren Abfall, ihren Elektroschrott dort abladen, mit ihren Produkten deren Eigenproduktionen verhindern oder zerstören, solange die Menschen der reichen Länder mit ungezügeltem weltweitem Tourismus und mit dem Wunsch nach Waren aus aller Welt Luft und Meere weiter schädigen, mit Lohndumping die Menschen in den ärmeren Ländern versklaven, solange wird auch Migration weitergehen.
Wenn wir nicht hinschauen, was genau den Migrationsbewegungen zugrunde liegt, wird auch ein solches Migrations-Abkommen nur Pflaster auf die Wunden sein, aber nicht wirklich die zugrunde liegende Krankheit kurieren. Immerhin hat das Abkommen die Ursachen angesprochen. So ist dies vielleicht ein Anfang, ein Hoffnungsschimmer und wird möglicherweise Anstoß sein, sich mit dem Thema in naher Zukunft ernsthaft und umfassend auseinanderzusetzen, um Lösungen für die Ursachen der weltweiten Migration zu erforschen, zu analysieren und zu erarbeiten. --------------------------------------------------------- *In der wissenschaftlichen Zeitschrift "Global Environmental Change" wurde 2019 eine Studie mit dem Titel "Climate,conflict and forced migration" veröffentlicht, in der zum ersten Mal der Zusammenhang zwischen Klima, Konflikten und Migration über einen längeren Zeitraum hinweg untersucht wird. Die Studie lässt sich hier finden.
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