Ich möchte hier auf ein Buch aufmerksam machen, das mich sehr bewegt hat. "Integriert doch erst mal uns!" von Petra Köpping, sächsische Integrations- und Gleichstellungsmininisterin, befasst sich mit der gesellschaftlichen Stimmung im Osten Deutschlands und zeigt auf, wie die Fehler der Nachwendezeit zu einer Gefahr für die Demokratie geworden sind. In vielen Bürgergesprächen fand die Autorin heraus, dass nicht "die Flüchtlinge" der Stein des Anstoßes sind, sondern das Gefühl der Benachteiligung, Herabsetzung und Erniedrigung, das die meisten Ostdeutschen in den Jahren der Nachwendezeit erlebt haben. Damit will sie keinesfalls die fremdenfeindlichen Tendenzen, die es in Sachsen offenbar gibt, entschuldigen, sondern nur etwas Tieferliegendes aufzeigen: Sie hat beobachtet, dass starke Gefühle von Perspektivlosigkeit, Trauer und Wut bei den Menschen existieren und sich inzwischen auf die eine oder andere Art auch Bahn brechen, sei es in Form von Rückzug und Resignation oder als Protest und Gewaltbereitschaft. Köpping vermutet, dass diese Entwicklungen auch damit zu tun haben, dass den Menschen zu DDR-Zeiten genauso wenig zugehört wurde wie heute, dass sie sich darüber hinaus bereits in jener Vergangenheit seitens der politischen Entscheidungsträger ebenso wenig ernst genommen gefühlt haben wie heute und dass sie z. B. auch nicht angeregt wurden, für sich selbst einzutreten oder sich politisch zu engagieren, da dies unerwünscht und auch nicht ungefährlich war. Die geringe Wertschätzung, die die heutigen politischen Partein und VerantwortungsträgerInnen seitens der ostdeutschen Bevölkerung genießen, leitet die Autorin aus dem tiefgreifenden früheren Misstrauen gegenüber "denen da oben", den "Bonzen" im Politbüro ab. Das Unvermögen, offen und im Dialog Zweifel und Kritik an den heutigen Gegebenheiten zu äußern, sich einzubringen und selbst Verantwortung für die eigenen Geschicke zu übernehmen, führt sie auf diese "Erblast" zurück. Denn "eine echte demokratische Beteiligung und Mitbestimmung war schließlich schon in der DDR nicht vorgesehen, genauso wenig wie Meinungsfreiheit", schreibt die Autorin. In der Wendezeit wurden die Menschen ebenfalls wieder übergangen. Sie mussten ohnmächtig zuschauen, wie durch die Abwicklung von Betrieben ihre Existenzgrundlagen einfach so zunichte gemacht wurden. Und sie erlebten, dass ganze Erwerbsbiographien auf einmal nichts mehr wert waren, dass sie in der Arbeitswelt des Westens nichts mehr galten. Und da eben keine Erfahrung darin bestand, sich politisch zu beteiligen und die eigenen Interessen zu vertreten, wurde auch hier erst mal Jahre lang, ja, Jahrzehnte lang, nicht aufbegehrt. All das wurde nicht aufgearbeitet. So scheinen nach all diesen Jahren die kränkenden Erfahrungen nach wie vor tief zu sitzen, auch bei Menschen, die es im Westen zu etwas gebracht, es sogenannt "geschafft" haben. Der trotzige Vorwurf "Integriert doch erst mal uns!", den die Autorin von einem ihrer MitbürgerInnen zugerufen bekam, lässt aus ihrer Sicht eine gewisse, ebenfalls aus früheren Zeiten herrührende Passivität erkennen, verbunden mit einer Erwartungshaltung an die politisch Verantwortlichen, integriert zu werden, anstatt selbst die notwendigen Schritte zu tun, um sich in die neue Gesellschaft einzufügen und sich an ihrer Gestaltung zu beteiligen. Die Autorin appelliert daher mit dem Buch auch an ihre MitbürgerInnen, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, ihre eigenen Interessen zu vertreten, politisch aktiv zu werden, etwas, das offenbar nicht selbstverständlich ist, sondern neu gelernt werden muss. Für die Menschen aus dem Osten Deutschlands ist dies ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Aufarbeitung der Vergangenheit; für die Menschen im Westen, die diese Erfahrungen nicht gemacht haben, ist das Buch eine unverzichtbare Analyse der gesellschaftlichen Stimmung im Osten, geschrieben von einer Bürgerin mit "Insider"-Wissen, und macht nachvollziehbar, warum immer noch keine wirkliche "deutsche Einheit" entstanden ist.
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