Artikel

Das alte und das neue Jahr

Das alte und das neue Jahr

Bewerten Sie diesen Artikel:
4.8

Das Jahr 2023 war ein Annus Horribile, ein Jahr des Schreckens. Leider ist für die Menschen im Gaza-Streifen und in der Ukraine der Schrecken noch lange nicht zu Ende, und das mit entsetzlichen Folgen. Hunderttausende haben bereits in diesen beiden Kriegen ihr Leben gelassen, sind obdachlos, verletzt, verstümmelt. Beide Kriege verursachen unmenschliches Leid, im Gazastreifen verhungern die Menschen, die Kriegsparteien in Gaza erscheinen herzlos, gewissenlos und verweigern sich jeglicher Menschlichkeit. Auch Russland versucht, die Bevölkerung der Ukraine auszuhungern, zerstört ihre Infrastruktur und verteilt überall tödliche Minen.

Vergessen sollten wir auch nicht alle die Kriege, die in anderen Regionen der Welt stattfinden. Das Rote Kreuz zählt weltweit 100 bewaffnete Konflikte von Somalia, Kongo über den Jemen, Äthiopien und Syrien bis hin zur Sahelzone und Haiti, um nur einige wenige davon zu nennen.

Viele dieser Kriege sind Ursache für Millionen von Flüchtigen, von denen viele bereits in der Wüste ihr Leben lassen, aber auch Tausende nach Europa streben und im Mittelmeer sterben. Nach der Bilanz der Regensburger Organisation „Sea Eye“ ist das Jahr 2023 "das tödlichste Jahr für schutzsuchende Menschen an den EU-Außengrenzen in den vergangenen fünf Jahren" gewesen. Mehr als 2.500 Menschen ertranken im Meer, darunter Hunderte von Kindern.  

Außerdem sind im Jahr 2023 weltweit mindestens 62.000 Menschen durch Naturkatastrophen gestorben, ob durch Erdbeben in der Türkei, in Marokko und Syrien, oder durch Tornados in den USA und in Asien, oder durch Überflutungen in Italien, Österreich, Libyen, Indien, Slowenien und China und durch Waldbrände in Griechenland, Spanien, Hawaii, um nur einige davon zu nennen. Es war das Jahr der Kriege und der Katastrophen.

Neben den vielen Menschen, die durch Kriege und Naturkatastrophen aus dem Leben gerissen wurden, denke ich auch an die unzähligen Tiere, die durch Brände und Fluten getötet wurden, auch die vielen Haustiere, die in den Kriegen zurückgelassen wurden. Und ich denke an die gewaltige Zerstörung der Umwelt, die sowohl durch die Kriege als auch durch Naturkatastrophen verursacht wurde und wird und an die Vergiftung unserer Böden und Meere. Die Bewältigung der Klimakrise ist völlig aus dem Blickfeld geraten, und viele der ursprünglich hoffnungsvollen Pläne fast aller Regierungen sind über den Haufen geworfen worden, wie man an den unterirdischen Ergebnissen der COP 23 sieht.

Wenig Hoffnung sehe ich auch auf der politischen Ebene. In vielen europäischen Ländern hat es einen Rechtsruck gegeben. Zusätzlich zum undemokratischen Altpopulisten Orban und dem Richtungswechsel der neuen italienischen und schwedischen Regierungen im Jahr 2022 sind im Jahr 2023 weitere undemokratisch anmutende Regierungen unterwegs, wie z. B. die in Finnland, Holland,Frankreich und Griechenland, die entweder deutlich rechtsgerichtet sind oder einen starken Anteil rechtsgerichteter Parteien aufweisen.

Unsere deutsche Regierung, einst ein Fels in der europäischen Brandung, versucht seit Februar 2022 die vielen Krisen zu bewältigen, hat aber bei fehlender Führungskraft des Kanzlers und vielen Fehlentscheidungen stark an Vertrauen verloren. Eine Koalition, die von Anfang an nicht zusammenpasste, bekommt infolge ihrer Zerstrittenheit die auseinanderstrebenden Ziele nicht unter einen Hut und ist weit von einem klaren Kurs entfernt. Getrieben wird sie von einer sich populistisch gebenden demokratischen Opposition und einer immer mehr erstarkenden rechten Partei, die vor allem in den Ländern Zuwächse erlebt.

Neben der Tatsache, dass die Kriege Russland/Ukraine und Gaza/Israel für lange Zeit nicht enden werden, kann ich mir auch sonst für das Jahr 2024 nicht viel Positives vorstellen. Der Klimawandel wird weiter fortschreiten und Dürren, Brände, Überschwemmungen und Hitzetote verursachen, wodurch immer mehr Menschen zur Flucht gezwungen sein werden. Unsicherheit und Politikverdrossenheit werden weiterhin Menschen in das rechte Lager treiben, und es steht zu befürchten, dass auch in Europa demokratische Regierungen einen schweren Stand haben und Autokratien zunehmen werden.

Große Sorge bereitet aber auch das, was transatlantisch geschieht. Es ist zu befürchten, dass ein ehemaliger Präsident, der mit menschenverachtenden, sexistischen und rassistischen Äußerungen und politisch inakzeptablen Handlungen ungestraft davongekommen ist, wieder ins Amt gewählt werden wird.

Trump hat nicht nur zwei Impeachment-Verfahren überstanden, sondern auch unzählige Gerichtsprozesse, sogar einen wegen Anstiftung zum Sturm auf das Kapitol, um das parlamentarische Verfahren zur Bestätigung des neuen Präsidenten zu unterlaufen. Abgesehen von der Entwürdigung dieser erhabenen demokratischen Einrichtung gab es Tote und viele Verletzte, und ein Eingreifen des Noch-Präsidenten blieb aus. Die Tatsache, dass ein Noch-Amtsinhaber einen neu gewählten Präsidenten nicht anerkennt, obwohl er Hunderte von Wahl-Anfechtungsverfahren anstrengte und verlor, ist beispiellos und für uns undenkbar.

Was nicht erwähnt wird, aber in meinen Augen ebenfalls ein Verbrechen darstellt, ist die Tatsache, dass in den USA aufgrund von Trumps wissenschaftsfremder Gesundheitspolitik mehr als eine Million Menschen an und mit Covid19 verstorben sind.

Nichts von all dem beeindruckte jemals seine Base, und auch jetzt halten seine Stammwähler an ihm unbeirrt fest. Vorauszusehen ist auch, dass Trumps jetzige Kritiker in der republikanischen Partei spätestens nach seiner Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten noch rechtzeitig auf seine Seite wechseln werden, um nicht politisch und menschlich durch ihn vernichtet zu werden. Die bisher noch überwiegend funktionierende Demokratie droht zur Diktatur zu werden, falls Trump wiedergewählt wird. Davon jedenfalls ist Robert Kagan überzeugt, der in der „Washington Post“ unter dem Titel „A Trump dictatorship is increasingly inevitable. We should stop pretending“ am 30. November 2023 vor dem Ende der US-Demokratie warnte. Kagan war unter Ronald Reagan Berater im amerikanischen Außenministerium.

Nein, die Aussichten für das Jahr 2024 sind nicht besonders rosig. Es müssten schon mehrere Wunder (oder nennen wir es unerwartete Ereignisse) geschehen, damit das Jahr 2024 weniger schrecklich verläuft als das Jahr 2023. Ich glaube nicht an Wunder, aber ein bisschen Hoffnung und Zuversicht muss trotzdem sein. Vielleicht tut sich ja doch noch eine Möglichkeit auf, damit der Krieg in Europa am Verhandlungstisch endet, vielleicht entsteht bald eine arabisch-israelische Initiative zur Lösung dieses schon Jahrzehnte währenden Konflikts zwischen Israel und Palästina. Vielleicht können wir doch noch Wege finden, die Klimakrise abzumildern. Und vielleicht wird ja Trump doch nicht Präsident.

Anzahl der Ansichten (847)

Autor kontaktieren

x