Ist es Gutgläubigkeit oder Bequemlichkeit, dass wir die Anzeichen für die derzeitige politische Entwicklung nicht mitbekommen bzw. verdrängt haben oder aber, dass wir sie nicht wahrhaben wollten? Dabei hatte sie sich doch schon lange angekündigt, egal, ob man in die USA oder nach Russland schaut.
Trump seinerseits hat im Wahlkampf zur 2. Amtszeit immer wieder angekündigt, was seine Absichten sind, wie er den Staat umbauen, die Justiz zu seinem Machtinstrument machen und sich an seinen Verfolgern rächen will. Wer sich dafür interessierte, konnte es wissen; denn das „Project 2025“ der Heritage Foundation, das bereits 2023 veröffentlicht wurde, stellt auf 900 Seiten den rechts-konservativen Fahrplan für den nächsten republikanischen Präsidenten vor.
Auch Putin hat schon lange vor dem Einmarsch in die Ukraine, und zwar auf der Sicherheitskonferenz 2007 seine imperialen Absichten verkündet und von einer neuen „Architektur der globalen Weltordnung“ gesprochen. Was er damit gemeint hat, ist aus heutiger Sicht nicht schwer zu erkennen. Nur anderthalb Jahre später marschierten russische Truppen in Georgien ein, und weitere Übergriffe folgten.
Auch danach hielt Putin immer wieder Reden, die zum Inhalt hatten, Russlands Einfluss in den ehemaligen Sowjetstaaten zu stärken und sich dort einzumischen, z. B., indem dort Machthaber nach seinem Gutdünken installiert oder unterstützt wurden und werden. So geschehen in Tschetschenien, Ungarn, in der Slowakei oder in Belarus. Auch in Polen war das so, aber dann hat sich die Zivilbevölkerung mit Neuwahlen gegen autokratische Tendenzen gestemmt.
Putins imperiale Gelüste zeigten sich deutlich, als er sich 2014 die Krim einverleibte und in den Regionen Donezk und Luhansk in der Ostukraine pro-russische Separatisten militärisch unterstützte. Anhaltenden Spannungen, Kämpfe und viele Toten waren das Resultat; dann folgte der Überfall auf die Ukraine.
Schon im März 2021 begann Putin mit dem Truppenaufmarsch entlang der ukrainischen Grenze, aber im Westen war noch bis wenige Tage vor dem Einmarsch in die Ukraine von der Mehrheit der Politikerinnen und Politiker zu hören, dass das nur Übungszwecken diene.
Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 sind auf beiden Seiten Hunderttausende Soldaten gefallen. In der Ukraine sterben täglich Zivilisten, Krankenhäuser und Schulen werden bombardiert, die Infrastruktur wird systematisch zerstört und die Energieversorgung lahmgelegt. Seit drei Jahren leben die Menschen dort unter unvorstellbaren Bedingungen, Sirenen heulen Tag und Nacht, ihre Städte werden zerstört.
Natürlich hätte man dies voraussehen können; es hatte sich angekündigt, spätestens nachdem russische Truppen an der ukrainischen Grenze zusammengezogen wurden. Die Polen und die Balten wussten es schon viel länger; nur hat man nicht auf sie gehört.
Nach drei Jahren des Leidens der ukrainischen Bevölkerung bekommt Putin nach dem Regierungswechsel nun Unterstützung vom ehemaligen Kalten-Krieg-Gegner USA. Hätte man das nicht auch voraussehen können? Denn immerhin hatte Russland 2016 mitgeholfen, Trump an die Macht zu bringen; also schuldet er Putin etwas.
Im Wahlkampf kündigte Trump großspurig an, er könne den Krieg in 24 Stunden stoppen. Der Zeitrahmen ist auf jeden Fall eine Übertreibung, wie Vieles, das Trump von sich gibt. Klar ist aber auch, dass der Wunsch nach Frieden aus Trumps Sicht nichts mit den Menschen in der Ukraine oder dem Völkerrecht zu tun hat, denn Menschenrechte und Völkerrecht spielen weder für Trump noch für Putin eine Rolle.
Das haben nicht nur die militärische Intervention Russlands in Syrien zur Unterstützung des Regimes von Bashar al-Assad gezeigt, sondern auch die Vereinnahmung der Krim, die militärische Intervention in der Ostukraine oder der Überfall auf die Ukraine im Februar 2022.
Auch Trump hält nichts von internationalem Recht. So werden sowohl die militärische Intervention in Syrien im Jahr 2017 - als Reaktion auf den Einsatz chemischer Waffen - als auch die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels oder der Austritt aus internationalen Abkommen als völkerrechtswidrig angesehen, ganz zu schweigen von seinen territorialen Vorhaben in der neuen Amtszeit.
Denn auch jetzt hat Trump kein Problem mit völkerrechtswidrigen Landeinnahmen (s. die Vorschläge zu Grönland, Kanada, Panama oder sein neues Ansinnen, die zwangsweise Umsiedlung der Bevölkerung des Gazastreifens). Kein Wunder also, dass er Putins Überfall auf ein souveränes Land völlig in Ordnung findet.
Neben den vielen Eingriffen in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten sind in Putins Russland die Unterdrückung von politischen Gegnern, die Einschränkung der Pressefreiheit und die Verfolgung von Minderheiten an der Tagesordnung. Auch davon schaut sich Trump Vieles ab. In Russland ist der Abbau der Pressefreiheit inzwischen voll und ganz gelungen; in den USA beginnt er gerade erst.
So drohte Donald Trump schon im Wahlkampf damit, Journalistinnen und Journalisten, die nicht positiv über ihn und seine Regierung berichten, die Lizenzen zu entziehen. Das Verbot bestimmter Schulliteratur, der Ausschluss der Nachrichtenagentur AP aus Pressekonferenzen, aber vor allem die Vereinnahmung sozialer Medien sind einige der Beispiele, wie Trump unliebsame Medien gefügig zu machen versucht.
Auch außenpolitisch geht es ihm eher nicht um Frieden, auch wenn er gerne den Friedensnobelpreis hätte, sondern um blanke Wirtschaftsinteressen. Es sind die Rohstoffe der Ukraine, Bodenschätze wie seltene Erden, die er als Bezahlung für die bisherige Unterstützung milliardenschwere Unterstützung fordert. Dazu braucht er Russland, denn diese Rohstoffe liegen in den besetzten Gebieten. Überhaupt würde es sich aus Trumps Sicht lohnen, die Geschäftsbeziehungen, die es mit russischen Partnern bereits in den neunziger Jahren gab, wieder aufleben zu lassen.
Der größte Fehler von uns Europäerinnen und Europäern war doch der, dass man über Jahrzehnte die zahlreichen sehr deutlichen Rauchzeichen für Übertreibungen gehalten hat. Auch die meisten unserer politikwissenschaftlich versierten Fachleute, die täglich in den Medien kommentieren, schienen die Vorzeichen der Angriffe auf die globale Weltordnung nicht ernst zu nehmen, selbst wenn sie in Reden oder Wahlprogrammen angekündigt wurden!
Inzwischen wird Putin sogar zugetraut, den Westen mit einem Angriff auf eines der Länder der Ostflanke der NATO auf die Probe stellen zu wollen. Wird man darauf vorbereitet sein?
Oder darauf, dass Trump auch der nächste und übernächste Präsident der USA sein könnte?
Immerhin hat er im Sommer 2024 vor einer Gruppe rechts-konservativer Anhänger in West Palm Beach angekündigt, dass diese in vier Jahren nicht mehr wählen gehen müssten, sollte er die Wahl gewinnen. Er forderte sie auf, für ihn zu stimmen, „nur dieses eine Mal. Danach werdet ihr es nicht mehr tun müssen. Vier weitere Jahre. Ich werde das hinbiegen. Es wird alles gut! Ihr werdet nicht mehr wählen gehen müssen.“
Vielleicht sollte man wenigstens diese Ankündigung ernst nehmen!
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